Prof. Dr. Markus Scholz sieht in den Unternehmen einen Trend von der reinen Gewinnmaximierung hin zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung. Manager sind zu allererst sich selbst und dem eigenen Gewissen gegenüber verantwortlich. Kunden können Macht über Unternehmen ausüben. Österreich hinkt in punkto Transparenz international hinterher. Mehr Transparenz in Sales-Praktiken ist anfänglich mit erheblichem Aufwand verbunden, bildet aber einen wichtigen ersten Schritt zu fairem Wettbewerb der sich langfristig rechnet. Prof. Scholz im Interview mit life-science.
life-science: Was verstehen Sie unter CSR, Corporate Social Responsibility?
Prof. Dr. Markus Scholz: Darunter verstehe ich jene Verantwortung der Unternehmen, die über die Profitverantwortung hinaus geht. Man kann in diesem Zusammenhang von einer tripple bottom line sprechen. Ein Unternehmen muss profitabel sein, aber gleichzeitig hat es auch eine Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft. Es reicht nicht, sich an bestehende Gesetze zu halten, denn, egal wie gut eine Gesetzgebung ist, die Gesetze werden in der Regel immer erst anlassbezogen im Nachhinein geschaffen. Außerdem bezweifle ich, dass der Gesetzgeber immer kompetent genug ist, passende Regulierungen zu formulieren. Dies ist insbesonders bei innovativen Produkten und Technologien fraglich.
life-science: Wenn Sie es auf die pharmazeutische Industrie übertragen. Was bedeutet CSR hier?
Prof. Dr. Markus Scholz: Pharmaunternehmen stehen in einem besonderen Spannungsfeld. Sie bieten Produkte an, die für andere mitunter lebenswichtig sind und sie müssen selbst mit diesen Produkten Gewinne erwirtschaften, damit sie wieder in Forschung investieren können. Es gibt kein Gesetz, das ihnen vorschreibt, dass sie diese lebensnotwendigen Medikamente den Patienten, die sie es sich nicht leisten können, unentgeltlich zur Verfügung stellen müssen. Hier ist die Verantwortung des Unternehmens gefordert, diesen Patienten den Zugang zu ermöglichen.
life-science: Ist es die Verantwortung des Unternehmens oder der Gesellschaft und Politik, dass lebenswichtige Medikamente auch jenen zugänglich sind, die sich diese nicht leisten können?
Prof. Dr. Markus Scholz: Sowohl als auch. Es ist sicher ein Primat der Politik, hier vorzusorgen und mitunter auch eine entsprechende Regulierung zu schaffen. Aber gerade in der pharmazeutischen Industrie, die innovativ und forschungsgetrieben ist, haben wir die Thematik, dass die Entscheidungsträger in Politik oft nicht genug Kompetenz besitzen um zu wissen, was wie reguliert werden soll. Es kommt eine neue Technologie oder Produkt von dem man die Risiken und Gefahren noch nicht abschätzen kann. Hier bedarf es der Eigenverantwortung eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft, wie es mit dieser neuen Technologie oder diesem Produkt umgehen wird.
life-science: Stößt man hierbei nicht auf die Problematik, dass die Manager in Unternehmen in erster Linie ihren Shareholdern gegenüber verantwortlich sind. Und diese sind an Gewinnmaximierung interessiert?
Prof. Dr. Markus Scholz: Ich würde sagen, Manager sind in erster Linie sich selbst und ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich. Es hat in der BWL seit den 70-er Jahren bis heute eine interessante Entwicklung eingesetzt. Lange wurde an den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten die Maxime gelehrt, „die Manager sind ausschließlich ihren Shareholdern gegenüber verantwortlich“. Das hat Jeffrey Pfeffer, ein prominenter Kollege aus Stanford, zu dem Artikel bewogen: „sind die Manager die Huren der Shareholder.“ Diese Sicht ist zu vereinfacht und verfehlt. Erstens gibt es kein einziges Gesetz, das Managern vorschreibt, dass sie Profite maximieren müssen. Und zweitens gibt es sehr unterschiedliche Shareholder Strukturen. Die Shareholder von Familienunternehmen sowie von Kleinen und mittelständischen Betrieben sind selten ausschließlich auf kurzfristige Ergebnisse ausgerichtet, sondern an einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung interessiert. Auch wenn man die Shareholder großer Konzerne betrachtet, findet man unter ihnen zunehmend welche, die auf Nachhaltigkeit und Verantwortung setzen. Diese Shareholder sind nicht nur daran interessiert, kurzfristig aus dem Unternehmen rauszuquetschen was herauszuholen ist, sondern sie setzen auf langfristige Renditen und folgen durchaus einem moralischen Imperativ. Diese Veränderung vollzieht sich gerade. Larry Fink, CEO von BlackRock, dem größten Investmentfonds der Welt, appellierte im Jänner 2018 in einem offenen Brief an Vorstandsvorsitzende, nicht nur Gewinne anzustreben, sondern auch auf die Rolle ihres Unternehmens in und für die Gesellschaft zu achten. Große Rentenfonds erwarten nicht nur, sondern fordern von ihren Unternehmen social responsibility. Sie schließen gewisse Arten von Geschäftsführung oder Produkten bei ihren Investments aus. Dieser Trend ist klar erkennbar.
life-science: Wie wirkt sich soziale Verantwortung auf die Profitabilität eines Unternehmens aus?
Prof. Dr. Markus Scholz: Social Responsibility und Unternehmenserfolg schließen sich nicht gegenseitig aus. Im Gegenteil, es ist sogar eine Korrelation erkennbar, dass Unternehmen mit einer starken Social Performance auch finanziell sehr gut dastehen. Das heißt nicht, dass Unternehmen mit hoher Social Performance automatisch hohe finanzielle Erfolge erzielen. Wir sprechen von keinem Kausalzusammenhang aber eine Korrelation liegt vor.
Wir erkennen, dass Unternehmen, die klar zu ihren Werten stehen, zu Transparenz, Umwelt, ihrem Auftrag in der Gesellschaft, wesentlich leichter qualifizierte Fachkräfte finden als andere. Studienergebnisse zeigten, das insbesondere akademisch ausgebildete Mitarbeiter bereit sind auf 25% des Lohnes zu verzichten, wenn das Unternehmen ihren Werten entspricht.
life-science: Wie stark ist der Einfluss von Kunden auf ein Unternehmen?
Prof. Dr. Markus Scholz: Grundsätzlich sehr groß. Die Macht der Konsumenten ist nicht zu unterschätzen. Vor allem dann nicht, wenn sein Produkt austauschbar ist. Die Konsumenten müssten im Prinzip nur aufhören, dieses Produkt zu kaufen. Die Problematik liegt aber darin: „können wir vom Kunden erwarten, dass er sich davor informiert, woher das Produkt kommt, wie es hergestellt wird, welche Materialien verwendet werden,…“ Der Kunde ist überfordert damit. Die Informationen über die Produkte sind oft spärlich verfügbar. Man hat als Kunde kaum die Möglichkeit, die gesamte Wertschöpfungskette zu kontrollieren. Dennoch haben Kunden die Verantwortung, mit ihrem Kaufverhalten dem Unternehmen zu signalisieren, wir sind einverstanden oder wir sind nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie die Produkte hergestellt werden, für welche Werte ein Unternehmen eintritt usw.
life-science: In Verbindung mit CSR wird immer wieder Transparenz als „korrektive Maßnahme“ erwähnt. Worum geht es bei Transparenz?
Prof. Dr. Markus Scholz: In der Transparenz geht es darum zu erkennen in welchem Verhältnis stehen Unternehmen zu Träger- und Patientenorganisationen sowie zu Ärzten stehen.
life-science: Kann Transparenz eine Verbesserung bringen oder schlägt es vielmehr in das Gegenteil um und führt zu einer Akzeptanz im Sinne: „das macht ja eh jeder und gehört nun mal zum Business dazu?“
Prof. Dr. Markus Scholz: Kommt darauf an, in welchen Bereichen wir von Transparenz sprechen. Wenn es um die oben erwähnte Information über Produkte, Inhaltsstoffe und Wertschöpfungskette geht, wissen wir aus Studien, dass Kunden ihre Kaufentscheidung ändern, wenn sie besser über Hintergründe zum Produkt informiert sind.
Im Pharmabereich ist Transparenz auch mit Blick auf gewisse Sales Praktiken ein Thema. Wie gewinne ich die Einkäufer dafür, meine Produkte anstatt jener des Mitbewerbers zu kaufen? Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten der Kundenbindung. Im mehr oder weniger Business-to-Business getriebenen Pharmabereich sind es häufig Einladungen zu Konferenzen, zu Weiterbildungen, Gratismuster, die als verkaufsfördernde Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Im Umgang mit Transparenzthemen im Sales Bereich gibt es in Österreich im internationalen Vergleich ein Defizit.
life-science: Wie sieht der Weg zu mehr Transparenz aus?
Prof. Dr. Markus Scholz: Der Weg in die Transparenz ist nicht gratis sondern am Anfang für Verkäufer und Einkäufer mit einigem Aufwand verbunden. Es entsteht ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand und die Notwendigkeit, sich von allen Kunden und Partnern die Bereitschaft zur Transparenz einzuholen. Das bedarf viel Erklärungs- und Überzeugungsarbeit. Pharmaunternehmen müssen bereit sein, eine gewisse Bürokratie aufzubauen und alle in Frage kommenden Vertragspartner müssen dieser Transparenz zustimmen. Die Finanzflüsse werden dann für jeden einsehbar. Dieser Prozess ist für ein einzelnes Unternehmen schwer umzusetzen, wenn die Mitbewerber auf Intransparenz beharren. Es bedarf des Engagements der gesamten Branche. Hier liegt eine kollektive Verantwortung vor.
life-science: Bringt das einem Unternehmen nicht Nachteile gegenüber dem Mitbewerber?
Prof. Dr. Markus Scholz: Wenn Einkäufer und Mittelsmänner die Wahl haben, ein vergleichbares Angebot ohne jeden Zusatzaufwand von einem anderen Anbieter zu bekommen, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, sich für das einfachere Verfahren zu entscheiden. Das einfachere Verfahren ist aber das vergleichsweise intransparente. Das bringt anfangs natürlich Wettbewerbsnachteile gegenüber einem Unternehmen, das auf Intransparenz setzt.
life-science: Warum soll sich dann ein Unternehmen für Transparenz entscheiden?
Prof. Dr. Markus Scholz: In Österreich wurden internationale Trends schlichtweg verschlafen. Doch diese Trends werden uns irgendwann einholen. Ich würde sagen, Unternehmen, die jetzt auf Transparenz setzen, haben es im Moment ökonomisch gesehen schwerer, aber langfristig sind sie dem Markt voraus. Es werden irgendwann gesetzliche Auflagen zur Transparenz kommen, irgendwann werden es die internationalen Partner einfordern. Und hoffentlich sehen auch Patientenorganisationen den Sinn von mehr Transparenz ein und fordern diese dann vehement ein.
Natürlich geht es hier über weite Strecken auch um die Sensibilisierung der Ärzte, denn diese entscheiden darüber, welches Medikament verschrieben wird. Der Einkauf von erstattungsfähigen Medikamenten erfolgt in Österreich über Trägerorganisationen. Hier ist der größte Hebel anzusetzen. Kaufen diese Trägerorganisationen bei vergleichbaren Produkten von Unternehmen mit dem besten Marketing oder vom Unternehmen mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis und transparenten Finanzflüssen.
life-science: Transparenz sieht nach einem zahnlosen Instrument mit hohem bürokratischem Aufwand aus. Wenn jedes Unternehmen alle Finanzflüsse offen gelegt hat, kommt der Gewöhnungseffekt und die Erkenntnis „das Business läuft eben so“.
Prof. Dr. Markus Scholz: Mehr Transparenz ist wie Zeitung lesen. Man ist besser informiert und kann entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen. Transparenz ist erst ein erster Schritt, dem sollen natürlich entsprechende politische Reaktionen, oder die Reaktion der formierten Zivilgesellschaft folgen. Wenn ich etwas sehe, das mir nicht gefällt, kann ich als Regulierer oder Kunde für Abhilfe sorgen. Aber zunächst muss ich das Problem erkennen und eben dafür braucht es Transparenz.
life-science: Den Unternehmen fehlt doch der Anreiz für mehr Transparenz, wenn sie dadurch zusätzliche Regularien zu erwarten haben. Und das in einem Markt, der ohnehin schon stark reguliert ist?
Prof. Dr. Markus Scholz: Das sehe ich differenzierter. Erstens, die Märkte außerhalb Österreichs sind bereits wesentlich weiter im Hinblick auf Transparenz und Österreich muss hier erst international aufschließen. Damit meine ich, dass die Forderung nach mehr Transparenz auch nach Österreich kommen wird. Beginnen wir daher jetzt damit, uns darauf vorzubereiten.
Zweitens, wenn Unternehmen nicht von sich aus vorsorgen, reicht es dem Gesetzgeber irgendwann und dann entstehen Regelwerke politischer Art, die Monster sein können. Wir erkennen dies z.B. am neuen Datenschutzgesetz, teilweise an überbordenden Antikorruptionsgesetzen. Das Regulierungspaket für Banken, Basel 3, ist ein schönes Beispiel dafür. Hier wurde wahrscheinlich politisch motiviert und handwerklich fragwürdig überreguliert. Durch Basel 3 entstehen den europäischen Banken jedenfalls erhebliche Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren US-amerikanischen Konkurrenten. Mitunter schlägt ein politisches Pendel in einer Art und Weise aus, die wirklich unangenehm für Unternehmen sein kann.
Ein dritter Punkt, den sich Unternehmen vor Augen führen sollen ist: Sales-Praktiken, die den fairen Wettbewerb verzerren, sind für keine Industrie gut. Dann geht es nicht mehr darum, das beste Produkt, das wirksamste Medikament, die beste Forschungsleistung zu verkaufen, sondern nur darum, wie wir unsere Kunden am stärksten Manipulieren können. Natürlich muss auch das beste Produkt vermarktet werden, es braucht Vertriebsstrukturen und das Produkt muss den Kunden und Konsumenten erreichen. Aber gute Produkte sollten keiner zweifelhaften Sales-Praktiken bedürfen.
life-science.at: Gilt die fehlende Transparenz für die gesamte Pharmabranche?
Prof. Dr. Markus Scholz: Grundsätzlich sollten wir nicht eine ganze Industrie unter Generalverdacht stellen. Wir brauchen insbesondere in Österreich in dieser Industrie mehr Transparenz. Hier braucht es eine kollektive Verantwortung der Industrie. Es gibt einige Unternehmen, die hier bereits eine Vorreiterrolle übernehmen. Diese Unternehmen sollten wir unterstützen.
Dennoch sollten wir nicht vergessen: Die Pharmaindustrie zählt zu den innovativsten Branchen überhaupt. Die Produkte, die hier entwickelt werden, helfen uns gesund zu bleiben, oder gesund zu werden. Wir können auf die mächtige, forschende Pharmaindustrie nicht verzichten. Aber durch diese große Macht entsteht eben auch eine große Verantwortung.
Vielen Dank für das Gespräch.
DI Gisela Zechner
Prof. Dr. Markus Scholz ist Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Corporate Governance & Business Ethics an der FHWien der WKW. An der FHWien der WKW leitet er das Center for Corporate Governance & Business Ethics und das Center for Strategy and Competitiveness.
Neben weiteren nationalen und internationalen Positionen in Lehre und Forschung ist er Visiting Scholar am INSEAD Social Innovation Centre, Research Associate am Centre for Philosophy of Natural and the Social Sciences at the London School of Economics und Botschafter der Giving Voice To Values Initiative.
Seine bisherigen akademischen Positionen führten ihn u.a. als Senior Fellow an das Zicklin Center for Business Ethics Research an der Wharton Business School (2013-2017) und als Visiting Professor an das Center for Ethics and Law in the Life Sciences at the Leibniz University of Hannover (2015). Von 2016 bis 2017 führte Professor Scholz als europäischer Chairman das von der Harvard Business School organisierte Microeconomics of Competitiveness-Netzwerk, dem er auch heute noch als Affiliate angehört. Markus Scholz ist außerdem Mitglied des Herausgebergremiums des Philosophy of Management Journal.