Das Gehirn hat den höchsten Energieverbrauch im Körper. Chronische Stressbelastung braucht Energie und kann sich bis zu einer Depression entwickeln. Müdigkeit, Energiemangel, Schlafstörungen oder Apathie sind oft die Folgen. Alexander Karabatsiakis am Institut für Psychologie der Universität Innsbruck erforscht die biologischen Veränderungen im körpereigenen Energiesystem, den Mitochondrien.
Die Depression zählt zu den Volkskrankheiten der Gegenwart und gilt als eine der häufigsten Ursachen für langfristige Arbeitsunfähigkeit. Die bevorstehenden Herbst- und Wintermonate drücken bei Vielen zusätzlich auf die Stimmung. Was steckt hinter diesem Mysterium?
Energiemangel und Depression
Menschen, die aufgrund von chronischem oder traumatischem Stress an einer Depression erkranken, erfahren häufig eine psychische sowie eine körperliche Leistungsreduktion. Sie schlafen schlechter und verfallen oft in einen intensiven Grübel-Modus. Alexander Karabatsiakis sucht als Molekularbiologe und Systemischer Neurowissenschaftler auf der Ebene der Psychoneuroimmunologie nach biologischen Veränderungen, die bei Depressionen auftreten. „Das Gehirn ist eines der Organe mit dem höchsten Energieverbrauch im menschlichen Körper. Energie ist die Voraussetzung für Arbeit, und Leistung ist definiert als Arbeit pro Zeit. Da betroffene Patientinnen und Patienten weniger psychosomatische Leistung abrufen können, deutet vieles darauf hin, dass mit dem Energiestoffwechsel etwas nicht in Ordnung ist. Aufgrund des hohen Energieverbrauchs scheint das Gehirn daher besonders vulnerabel für Veränderung in der bioenergetischen Versorgung zu sein. Aber auch andere Teile des Körpers sind betroffen von einer Depression, darunter das Herz und das Immunsystem.
Mitochondrien – die Kraftwerke des Körpers
Im Fokus der Forschung von Alexander Karabatsiakis und seinem Team stehen die Mitochondrien, die er als die “Kraftwerks-Organellen” in unseren Zellen bezeichnet. Die Hauptaufgabe von Mitochondrien ist die Produktion von Adenosintriphosphat (ATP), der biochemischen Energiewährung des Körpers. „Als biologische Ursache könnte die Depression aus einer funktionellen Veränderung des mitochondrialen Systems hervorgehen, welches bei chronischer Überbeanspruchung durch Stress in eine Art ‚biochemischen Burnout‘ rutscht und seine Leistungsfähigkeit verliert“, verdeutlicht der Wissenschaftler, der gemeinsam mit seinem Team den Sauerstoffverbrauch von Immunzellen misst, um das Leistungspotential der Mitochondrien zu charakterisieren.
Eng vernetzt mit der Wirtschaft
Die dazu erforderliche Technologie wird im Rahmen gemeinsamer Arbeiten von dem Innsbrucker Unternehmen Oroboros Instruments zur Verfügung gestellt. Weiters kooperiert Karabatsiakis auch mit dem Innsbrucker Unternehmen Biocrates, einer internationalen Referenz auf dem Gebiet der Massenspektrometrie-basierten Biomarkerforschung. Als interdisziplinärer Forscher ist es für Alexander Karabatsiakis auch das Ziel, alle beteiligten Akteure noch stärker zu vernetzen. Hierdurch soll der Wissenschaftsstandort Innsbruck international auch auf dem Gebiet der biomolekularen Depressionsforschung stärker sichtbar werden.
Das “Pickerl” für den Körper
Die Leistung und die Integrität der Mitochondrien als zelluläre Energieproduzenten ist essentiell für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen. Alexander Karabatsiakis sucht nach biologischen Veränderungen, die bei einer Depression auftreten, und untersucht auch, inwiefern diese durch eine psychotherapeutische Intervention reversibel sind. „Will man für sein Auto ein Pickerl haben, prüfen die Mechaniker auch den Motor und die Abgase. So etwas Vergleichbares machen auch wir. In unserem Labor-‚Prüfstand‘, dem Oroboros Oxygraphen, wird untersucht, wie sich Mitochondrien verhalten, wenn man den zellulären Motor im Leerlauf betrachtet, wenn man Vollgas gibt oder wie sie reagieren, wenn man ihren Motor abwürgt. Interessant für uns ist vor allem, wie viel ‚Abgase‘ dabei erzeugt werden“, verbildlicht Karabatsiakis.
In einer Studie konnte der Wissenschaftler mit seinem Team bereits zeigen, dass es bei Patientinnen und Patienten mit einer Depression zu einer signifikanten Reduktion der mitochondrialen Leistung in Abhängigkeit der klinischen Symptomschwere kommt. „Je depressiver die Menschen waren, desto weniger haben die Immunzellen Sauerstoff verbraucht, um daraus über die Mitochondrien Energie zu produzieren“, so Karabatsiakis. In einer im vergangenen Jahr abgeschlossenen Studie konnte der Molekularbiologe zeigen, dass eine bei depressiven Patientinnen und Patienten angewandte Psychotherapie und die damit einhergehende Symptomverbesserung auch Verbesserungen der Mitochondrienaktivität mit sich gebracht hat.
Anpassung der Therapie an den Patienten
Die Möglichkeit, das Anschlagen einer Therapie gegen Depression auf biologischer Ebene feststellen zu können, soll zukünftig die Diagnostik und den Therapieverlauf unterstützen. „Nicht jeder Patient spricht auf Antidepressiva oder auf Psychotherapie an. Bei sehr schweren Formen der Depression kann auch eine Elektrokonvulsionstherapie eingesetzt werden. Durch einen Stromfluss wird ein Muskelkrampf bei denen in Kurzzeitnarkose versetzten Patientinnen und Patienten ausgelöst. Über bislang unvollständig verstandene Mechanismen kommt es in kürzester Zeit zu einer starken neurologischen Stimulation mit extremen antidepressiven Effekten“, erläutert der Wissenschaftler, der verdeutlicht, dass diese Therapieform allerdings nur bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten anschlägt. „Kann man bei den Betroffenen nach der Hälfte der Anwendungen auch keine Verbesserung im mitochondrialen System feststellen, dann müssten sie nicht mehr für die weiteren Behandlungen narkotisiert und der weitere Therapieverlauf angepasst werden. Auf der anderen Seite könnte ein mitochondrialer Funktionstest objektiv eine Verbesserung der bioenergetischen Versorgung nachweisbar machen. Beide Ansätze werden derzeit im Rahmen einer neu geplanten Studie zur Untersuchung am Standort Innsbruck vorbereitet“, so Karabatsiakis.
Schluss mit dem Mysterium “Depression”
Psychische Belastungen und psychiatrische Erkrankungen werden in der Gesellschaft auch heute noch häufig als Tabuthemen behandelt. „Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, auch über diese Themen aufzuklären und zu entmystifizieren. Können wir nachweisen, dass psychiatrische Erkrankungen auch durch einen Mangel an Energie oder verstärkte Entzündungsreaktionen im Körper bedingt werden, dann erzielen wir auch ein besseres Verständnis für die Krankheit in der Gesellschaft. Es ist wichtig, zu entstigmatisieren und darauf aufmerksam zu machen, dass es wirkungsvolle Hilfen bei Depression und anderen psychiatrischen Erkrankungen gibt. Auf diesem Weg können wir viel Positives für die Betroffenen bewirken“, engagiert sich Karabatsiakis, der auch als österreichischer Repräsentant in der European Depression Association tätig ist. Der Wissenschaftler macht zudem darauf aufmerksam, dass die gesundheitlichen Auswirkungen von Covid-19 auch die Psyche der Menschen miteinschließt. „Wir dürfen unseren Fokus nicht nur auf die körperlichen Komplikationen richten, sondern müssen auch die psychosomatischen Belastungen im Blick haben.
“Durch andauernden Stress, soziale Isolation sowie psychosoziale und ökonomische Belastungen steigt das Risiko für eine Depression”, so der Wissenschaftler. Der Experte rät präventiv dazu, die individuellen Stressmomente durch gezielte Intervention zu regulieren. „Durch etwas mehr Achtsamkeit im Leben, einen gesunden Lebensstil inklusive gutem Schlaf und gesunder Ernährung, ausreichend körperlicher Aktivität, reduzierte Arbeitsbelastungen oder weniger stressverursachende Tätigkeiten können wir uns auch selbst vor einer zu hohen Belastung schützen“, empfiehlt Alexander Karabatsiakis, der mit seinen Untersuchungen auf dem noch wenig verstandenen Gebiet der biomolekularen Depressionsforschung einen Beitrag zur Verbesserung der Therapie beitragen wird.
HÖRTIPP: Alexander Karabatsiakis im Podcast „Zeit für Wissenschaft“ der Universität Innsbruck. Der Psychologe erzählt über seine Arbeit auf dem Gebiet der Psychoneuroimmunologie und erklärt, warum jeder Mensch potenziell an einer Depression erkranken kann und Stigmatisierungen daher völlig unangebracht sind: https://www.uibk.ac.at/podcast/zeit/sendungen/zfw046.html
Rückfragehinweis:
Dr. Alexander Karabatsiakis
Institut für Psychologie
Universität Innsbruck
Telefon: +43 512 507 56036
E-Mail: Alexander.Karabatsiakis@uibk.ac.at
Web: https://www.uibk.ac.at/psychologie/mitarbeiter/karabatsiakis/
(GZ)
Quelle: Universität Innsbruck
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