Was passiert, wenn elektrischer Strom durch ein „seltsames Metall“ fließt? Es wird zu einem seltsam „leisen“ Strom in seltsamem Metall. Die TU Wien und Rice University zeigen: Das etablierte Bild von Elektronen und „Quasielektronen“ bricht zusammen. „Was in diesem Seltsamen Metall passiert, ist anders als alles, was wir bisher bei anderen Materialien gesehen haben“, sagt Silke Bühler-Paschen.
Wechselwirkungen beim Ladungstransport
Auf den ersten Blick klingt alles so einfach: In einem Kabel befinden sich Elektronen, und wenn wir eine Spannung anlegen, flitzen die Elektronen von einer Seite des Kabels zur anderen und es fließt ein elektrischer Strom. Dieses Bild ist nicht ganz falsch – aber richtig ist es auch nicht.
Denn tatsächlich können sich in einem Festkörper die Elektronen nicht frei bewegen. Stattdessen kommt es zu komplizierten Wechselwirkungen zwischen vielen verschiedenen Teilchen. Dadurch wird der Ladungstransport im Material etwas träge – so als hätten die Elektronen im Material eine größere Masse.
Mathematisch kann man das elegant beschreiben, indem man den Stromfluss durch das Material nicht mit gewöhnlichen Elektronen, sondern mit „Quasielektronen“ beschreibt, die zwar dieselbe elektrische Ladung tragen, aber eine größere Masse haben. Neue Experimente der TU Wien und der Rice University in Texas zeigen nun aber: In bestimmten Materialien, in sogenannten „Seltsamen Metallen“ (Strange Metals), bricht dieses Bild völlig zusammen. Der Strom scheint weder von Elektronen noch von Quasielektronen transportiert zu werden, sondern als Kontinuum zu fließen. Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal „Science“ publiziert.
Quasiteilchen
Quasiteilchen – wie in diesem Fall die Quasielektronen – sind keine Teilchen im üblichen Sinn. Man kann sie nicht aus dem Material herausholen und separat aufbewahren. Sie sind ein Konzept, mit dem man die Bewegung von Ladung durch ein Material auf relativ einfache Weise beschreiben kann, auch wenn es zu komplizierten Wechselwirkungen kommt.
„Auch wenn man den Stromfluss mit Quasielektronen statt mit Elektronen beschreibt, bleibt der Grundgedanke trotzdem gleich: Der Strom wird in diskreten Portionen transportiert, die alle genau eine Elementarladung tragen und einzeln detektiert werden können“, sagt Prof. Silke Bühler-Paschen vom Institut für Festkörperphysik der TU Wien, eine der Autorinnen des aktuellen Papers.
Schrotrauschen: Die Portioniertheit der Ladung
Nun aber untersuchte das Team ein ganz bestimmtes Material aus Ytterbium, Rhodium und Silizium (YbRh2Si2), ein bekannter Vertreter der Klasse der „Seltsamen Metalle“. Schon in vergangenen Jahren konnten Bühler-Paschen und ihr Team immer wieder zeigen, dass diese Materialien verblüffende Eigenschaften aufweisen, etwa einen ungewöhnlichen Zusammenhang zwischen elektrischem Widerstand und Temperatur.
Diesmal ging man der Frage nach, in welcher Form elektrischer Strom durch ein solches Metall fließt. Das lässt sich untersuchen, indem man zeitliche Fluktuationen in der Stromstärke misst – das sogenannte Schrotrauschen.
Schrotrauschen kennt man auch aus der klassischen Physik – etwa vom Geräusch des Hagels, der auf ein Blechdach prasselt. Dieses Rauschen kommt dadurch zustande, dass der Hagel in diskreten Portionen auf dem Dach eintrifft – in Form von Hagelkörnern. Würde sich dieselbe Niederschlagsmenge als Kontinuum auf das Dach ergießen, etwa als völlig gleichmäßiger Wasserstrahl, dann wäre dieses Rauschen nicht zu hören.
Dasselbe gilt für elektrischen Strom: Wenn er in diskreten Portionen ankommt, ist eine bestimmte Sorte von Rauschen zu erwarten. „Das Schrotrauschen ist einfach durch den granularen Charakter des Stromflusses bedingt. Da ein Quasielektron die gleiche diskrete Ladung hat wie ein freies Elektron, nämlich die Elementarladung, erwartet man, dass dieses Schrotrauschen immer gleich ist. Auch in einem Material, in dem es zu sehr starken Wechselwirkungen kommt und die Quasiteilchen eine um Größenordnungen erhöhte effektive Masse haben“, erklärt Silke Bühler-Paschen.
Niedriges Rauschen – als bestünde der Strom nicht aus Teilchen
Um das Schrotrauschen im Seltsamen Metall direkt messbar zu machen, mussten zunächst nanoskopische Drähte gefertigt werden. Dies gelang mithilfe einer Molekularstrahlepitaxie-Anlage im Zentrum für Mikro- und Nanostrukturen (ZMNS) der TU Wien und einem an der Rice University entwickelten Nanostrukturierungsverfahren.
Das Ergebnis war überraschend: „Es zeigte sich ein extrem niedriges Schrotrauschen“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Es ist, als würde die elektrische Ladung nicht, wie man das sonst kennt, von diskreten Quasielektronen transportiert, sondern eher kontinuierlich.“
Ein Modell des ebenfalls an der Studie beteiligten Theoretikers Qimiao Si (Rice University) hatte das „Auseinanderbrechen“ von Kondo-artigen Quasiteilchen in bestimmten „Strange Metals“ zwar bereits vorhergesagt, dass nun aber gar kein Quasiteilchen mehr vorzuliegen scheint, war doch unerwartet.
Ein neues Bild für Stromfluss
„Was in diesem Seltsamen Metall passiert, ist anders als alles, was wir bisher bei anderen Materialien gesehen haben“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir stellen uns vor, dass sich die Teilchen in diesem Material in einem hochverschränkten Zustand befinden, in dem das Bild der Quasiteilchen, das bei anderen Materialien sonst so gute Dienste leistet, völlig zusammenbricht.“
Was stattdessen im Detail passiert, ist derzeit noch unklar. „Wir müssen überhaupt erst das richtige Vokabular dafür entwickeln, um darüber zu reden, wie Ladung kollektiv durch ein solches Material transportiert werden kann“, beschreibt es Doug Natelson von der Rice University.
Originalpublikation:
E. Bakali et al., Shot noise in a strange metal, Science (2023) DOI: 10.1126/science.abq6100
Zum Nachlesen:
Ein neuer Blick auf seltsame Metalle:
https://www.tuwien.at/tu-wien/aktuelles/news/news/ein-neuer-blick-auf-seltsame-metalle
Bild: Prof. Bühler-Paschen im Labor (c) Luiza Puiu / TU Wien,
Rückfragehinweis:
Prof. Silke Bühler-Paschen
Institut für Festkörperphysik
Technische Universität Wien
+43 1 58801 13716
silke.buehler-paschen@tuwien.ac.at
Materials & Matter ist – neben Computational Science & Engineering, Quantum Physics & Quantum Technologies, Information & Communication Technology sowie Energy & Environment – einer von fünf Forschungsschwerpunkten der Technischen Universität Wien. Geforscht wird von der Nanowelt bis hin zur Entwicklung neuer Werkstoffe für großvolumige Anwendungen. Die Forschenden arbeiten sowohl theoretisch, beispielsweise an mathematischen Modellen im Computer, wie auch experimentell an der Entwicklung und Erprobung innovativer Materialien.
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(GZ)
Quelle: TU-wien
Foto: (C) Luiza Puiu, TU Wien
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