Foto: (c) Zdenek-Machacek-unsplash.comSchon in den 80-Jahren hat Friedrich Glasl in seinem Buch “Konfliktmanagement” die Entstehung und den typischen Verlauf von destruktiven Konflikten beschrieben. Bei einer destruktiven Konflikteskalation sind immer wieder typische Verhaltensweisen festzustellen, die in einer vorhersehbaren Abfolge auftreten.  Eines der wesentlichsten Merkmale bei destruktiv eskalierenden Konflikten sind die Konstruktion von sich widersprechenden Wirklichkeiten.

Eigentlich muss es uns zu denken geben. Wir möchten zum Mars fliegen, wir können die Gene manipulieren etc. Aber unser Konfliktverhalten entspricht dem der Antike. Vielleicht noch schlimmer, in der Antike konnte man sich aus dem Weg gehen. Das geht in unserer vernetzten Welt nicht mehr.

Seit Jahrtausenden hat der Mensch nur die Technik weiter entwickelt, aber nicht sich selbst. Wie Kleinkinder, die sich im Sandkasten gegenseitig die Sandburgen zertreten, handeln manche, die Konflikte immer weiter eskalieren lassen. Nur leider sind die Konsequenzen nicht mit jenen aus der Sandkiste zu vergleichen. Die Möglichkeiten der Zerstörung haben sich massiv erweitert, doch die emotionale Kompetenz ist am selben Niveau wie in der Sandkiste.

An der Beschreibung der Konflikteskalation von Friedrich Glasl können Sie sehr gut nachvollziehen, wie die Wahrnehmungsverzerrung und die Konstruktion unterschiedlicher Wirklichkeiten die  Konfliktsituation weiter verschärfen. Er beschreibt, wie sich das individuelle Verhalten verändert und sich gegenseitig aufschaukelt. Je genauer man diese Mechanismen identifizieren kann, umso eher kann man Konflikte bereits erkennen und entschärfen sobald sie aufkeimen. Es muss zu keiner destruktiven Eskalation kommen.

Konflikte als Stoff für Fortschritt

Konflikte sind am Beginn nichts anderes als das Aufeinandertreffen von unterschiedlichen Interessen, Meinungen, Wissen, Erfahrungen, Weltbildern oder anderem.  Diese Unterschiede sind gleichzeitig das “Baumaterial” für Entwicklung und Verbesserung. Aus zwei sich widersprechenden Interessen wird eine neue, dritte Lösung kreiert, die beide Seiten einen Schritt weiter nach vorne bringt. Vorausgesetzt der Konflikt wird konstruktiv gelöst. Damit ein Konflikt kontruktiv gelöst werden kann, ist es hilfreich, zu wissen, wie es eben nicht geht, sodass man frühzeitig erkennt, wenn man selbst eine negative Konfliktdynamik angetriggert hat, und man rechtzeitig eine Kurskorrektur durchführen kann. Bevor der Konflikt auf eine Stufe eskaliert, auf der gegenseitige Angriffe stattfinden und das beiderseitige Vertrauen empfindlich belastet ist. Je weiter der Konflikt fortgeschritten ist, umso schwieriger wird es für den einzelnen, dem negativen Sog der destruktiven Konfliktdynamik zu entkommen.

Die Phasen der destruktiven Konflikteskalation

Die Standpunkte verhärten sich

Der Beginn eines Konfliktes zeichnet sich durch das Fehlen einer offenen, ehrlichen Kommunikation und das Verhärten der Standpunkte aus. Jede der Parteien ist von ihrer Sicht der Dinge überzeugt und beharrt darauf, diese durchzusetzen. Die Parteien entwickeln gleichzeitig eine getrübte Wahrnehmung der Realität. Das heißt, sie nehmen in erster Linie jene Informationen wahr, die die eigene Position und Meinung bestätigen.

Missverständnisse schleichen sich ein

Durch das Sichtbarwerden der Differenzen und das Auftreten unterschiedlicher Interessen, können die Konfliktparteien nicht mehr unbefangen miteinander reden, die Spannung steigt, die Reizbarkeit nimmt zu, und das kann dazu führen, dass sich die Parteien weniger deutlich und vollständig ausreden, wodurch sich Missverständnisse und Verzerrungen einschleichen. Die fehlenden Informationen werden durch eigene Interpretationen und Phantasien ersetzt. Trotzdem sind in dieser Phase des Konfliktes beide Parteien nach wie vor davon überzeugt, dass sie die Spannungen durch geordnetes Verhandeln wirkungsvoll bewältigen können. – Eine durchaus realistische Einschätzung, wenn beide willens sind.

Macht und Prestige werden wichtig

Gelingt es den Parteien nicht, die Differenzen auszuhandeln, so greifen sie im weiteren Verlauf zu schärferen Mitteln, um ihre Standpunkte durchzusetzen. Das Debattieren entwickelt sich zum Machtspiel, das Verteidigen der eigenen Position wird zur Prestigesache. In die Argumentation mischt sich ein überheblicher belehrender Ton, der zu einer weiteren Distanzierung beiträgt. Taktieren tritt an die Stelle des offenen Gesprächs und jeder hat Angst, sich in die Karten schauen zu lassen. Argwohn und Misstrauen nehmen zu. Das Streben nach einer gemeinsamen Lösung wechselt mit Konkurrenzdenken und -handeln.

Den Worten folgen die Taten

Nachdem mit Gesprächen keine Einigung erzielt werden kann, führt jede Partei jene Handlungen aus, die ihrem Standpunkt entsprechen und über die sie bereits erfolglos debattiert hatte. Die Parteien stellen sich gegenseitig vor vollendete Tatsachen. Die handelnde Partei versucht auf diese Weise ihre Haltung der Gegenpartei aufzuzwingen, womit Gegenreaktionen provoziert werden.

Lösung nur bei vollinhaltlicher Zustimmung

Die Standpunkte haben sich mittlerweile so verhärtet, dass keine der Parteien bereit ist, ihr Verhalten zu ändern, aber von der Gegenpartei erwartet, dass diese nachgibt. Die Lösung des Konfliktes wird nur noch in der Weise gesehen, dass die eigene Haltung vollinhaltlich vom anderen übernommen wird.

Einfühlungsvermögen und Verständnis schwinden

Mit dem Verhärten der Fronten tritt ein weiterer Rückgang des offenen gemeinsamen Gespräches ein. Dadurch kommt es zu einer gefährlichen Dynamik, da sich der Schwerpunkt der Auseinandersetzung auf die Ebene des Handelns verlagert, die viele Möglichkeiten für Fehlinterpretationen und Missverständnisse bietet. Jeder schließt sich gegenüber der anderen Partei ab, wodurch die Möglichkeit für ein gegenseitiges Einfühlungsvermögen und Verständnis schwindet. Wenn vorrangig Taten sprechen, dann wird der “Weg zurück” schwieriger und es besteht die berechtigte Befürchtung, den gemeinsamen Boden für eine Problemlösung zu verlieren.

“Gemeinsam gegen den Feind”

Die gegenseitige Konkurrenz darüber, wer seine Interessen durchsetzt nimmt zu und wenn sich der Konflikt zwischen zwei Gruppen abspielt, so steigt gleichzeitig das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb einer Partei (“Gemeinsam sind wir stärker”). Das kann bis zum Gruppendruck der Konformität und Einstimmigkeit gehen. Individuelle persönliche Meinungen und Gefühle werden aufgehoben und werden innerhalb der Gruppe nicht mehr geduldet. Die Gruppenmitglieder bestätigen sich gegenseitig in den Vorurteilen gegenüber der Gegenpartei und bestärken sich gegenseitig in ihrer Selbstglorifizierung.

Ein erklärtes Feindbild

Die Gegenpartei wird zum Feindbild erklärt und ihr werden zahlreiche negative Eigenschaften zugeschrieben, die nicht mehr zurückgenommen werden, auch wenn neue Erfahrungen und Informationen eine Korrektur erfordern würden. Jede Partei provoziert die Gegenpartei zu Verhaltensweisen, mit denen dieses negative Bild bestätigt wird. Es werden Verbündete gesucht, die die eigene Meinung und Handlungsweise bestätigen. Der Konflikt beginnt sich auszudehnen, indem vorerst unbeteiligte Personen in die Auseinandersetzung hineingezogen werden.

Ab diesem Stadium des Konfliktes sehen die Parteien die Ursache “allen Übels” in den persönlichen Eigenschaften (“Unfähigkeiten”) des anderen und weniger in den sachlichen Inhalten.

Die Spannungen zwischen den Konfliktparteien nehmen zu und Lösungen sind nicht absehbar. Die Konfliktparteien schlagen zeitweilig verbal oder leicht schädigend (handgreiflich) direkt aufeinander los, um ihrem Unmut Luft zu machen.

Dämonisierung der Gegenpartei

Die Parteien manövrieren sich gegenseitig in Situationen, in denen sie in der Öffentlichkeit bloß gestellt werden, sich blamieren oder in Frage gestellt werden, bis eine vollends das Gesicht verliert. Dieser Gesichtsverlust der einen Partei führt zum “Aha-Erlebnis” der anderen Partei, die nun glaubt, den Gegner völlig durchschaut zu haben und dass seine “bösen Absichten” bzw. “schlechten Eigenschaften” nun endlich ans Tageslicht kommen. Dieser Gesichtsverlust ist häufig verbunden mit dem Verlust von Respekt und Achtung vor dem anderen, es werden von diesem nur noch die negativen Eigenschaften in übersteigertem Maß wahrgenommen. Alle positiven Erinnerungen werden davon überlagert. Die eigene Person wird hingegen über das normale menschliche Ausmaß hinaus erhöht.

Jede Partei ist überzeugt, in der Vergangenheit bereits genügend Kooperationsbereitschaft gezeigt zu haben und wartet nun auf ein Entgegenkommen der Gegenseite. Das Vertrauensverhältnis ist mittlerweile bereits so stark belastet, dass ein einzelner Schritt des Entgegenkommens noch gar nicht als ein solcher wahrgenommen wird und es mehrerer ehrlicher Schritte und einer entsprechend langen Zeit bedarf, bis von der Gegenseite eine ähnliche Annäherung erwartet werden kann. Da jede Partei auf die ersten Schritte des anderen wartet, kann ein Näherkommen beinahe nur noch durch die Vermittlung eines unbeteiligten Dritten erfolgen.

Drohgebärden

Schreitet die Dynamik des Konfliktes ungehindert fort, so steigt bei den Parteien die Bereitschaft zum Gewaltdenken und -handeln. Die Einstellungen sind wesentlich radikaler. Gegenseitige Bedrohungen setzen die Parteien unter Druck und in dieser Stresssituation erhöht sich das irrationale Handeln. Das Drohverhalten kann unter Umständen erst recht zu jener Entwicklung führen, die man damit eigentlich verhindern wollte.

Die Konfliktparteien nehmen die Gegenseite als besonders aggressiv wahr und sehen das eigene Verhalten hingegen ausschließlich als zwingende Reaktion auf die Gegenseite.

Sind die Konfliktparteien in diesem Stadium der Eskalation angelangt, dann können sie kaum noch aus eigener Kraft zurück. Von den Drohungen ist der Schritt zu ersten begrenzten Angriffen rasch getan, der bis zur gegenseitigen Existenzzerstörung ohne Rücksicht auf eigene Verluste gehen kann.

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Je weiter ein Konflikt fortschreitet, um so stärker reduzieren wir unsere Wahrnehmung. Um so weniger nehmen wir von der Wirklichkeit des Konfliktpartners wahr.

Wenn Konflikte entmystifiziert und darauf reduziert werden, was sie sind, nämlich das Aufeinandertreffen von mindestens zwei Wirklichkeiten aus denen eine dritte kreative Lösung hervorgehen kann, dann wird auch die Bereitschaft wachsen, die abweichende Meinung als Bereicherung wahrzunehmen. Die abweichende Meinung, die den eigenen Horizont erweitert. Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten kann als ein kreativer Umgang mit Unterschieden gesehen werden, aus dem innovative Lösungen hervorgehen  können.

Quelle: “Konfliktmanagement, ein Handbuch für Führungskräfte und Berater”, Friedrich Glasl, Verlag Freies Geistesleben, 3.Auflage, 1992
Zusammengefasst und publiziert in “Projekte auf kommunaler Ebene erfolgreich managen”, Manz Verlag 1998
© DI Gisela Zechner

(GZ)
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