Das Forschungsteam hat ein Tiermodell entwickelt, das in der Ratte fast alle histopathologischen Merkmale kortikaler Läsionen der progredienten Multiplen Sklerose (MS) nachstellen kann. Es soll als Grundlage zur Erforschung der Pathogenese, der verbesserten Darstellung in der Bildgebung sowie der Behandlung der progredienten Phase der MS dienen.

Eingereicht von: Michaela Tanja Haindl, MSc
Firma/Universität: Medizinische Universität Graz
Homepagewww.medunigraz.at

Diese Projekt ist dem Forschungsgebiet der Multiplen Sklerose (MS) zuzuordnen. Es handelt sich hierbei um eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen im jungen Erwachsenenalter. Die meisten Patienten erkranken zunächst am schubförmigen Verlauf der MS, die durch Schübe neurologischer Ausfälle und nachfolgender Remission gekennzeichnet sind. Jahre bis Jahrzehnte später kommt es oft zu einem Übergang in eine progrediente Form der Erkrankung mit stetiger Verschlimmerung der Symptome und bleibender Beeinträchtigung. Während die schubförmige MS histopathologisch von Demyelinisierungsherden und entzündlichen Infiltraten in der weißen Substanz geprägt ist, sind in der progredienten Phase vor allem kortikale Läsionen, also pathologische Veränderungen der Hirnrinde mit Verlust von Myelin, zu beobachten. Diese kortikalen Läsionen enthalten im Gegensatz zu Läsionen der weißen Substanz kaum Entzündungszellen und können, bei einzelnen Patienten, unter Umständen auch große Teile der Hirnrinde umfassen. Sie verursachen oft diffuse, wenig fassbare Symptome wie verminderte kognitive Leistungsfähigkeit und erhöhte Ermüdbarkeit und tragen wesentlich zur Behinderungsprogression bei. Die exakten Pathomechanismen dieser Läsionsart sind allerdings noch weitgehend unbekannt und bedürfen dringend weiterer Forschung.

Das in der MS-Forschung am häufigsten genutzte Tiermodell, die experimentelle autoimmune Enzephalomyelitis (EAE) in Nagetieren eignet sich gut zur Nachstellung vieler Aspekte der schubförmigen MS, versagt aber bei der Darstellung kortikaler Läsionen. Darin ist auch mit ein Grund zu sehen, dass es mittlerweile eine Reihe von therapeutischen Optionen zur Behandlung der schubförmigen MS gibt, jedoch noch keine spezifische Behandlungsmöglichkeit für Patienten in der progredienten Phase.

life-science.eu - Foto: (c) Michaela Tanja HaindlKürzlich ist es dem Forschungsteam gelungen, in der Ratte langanhaltende kortikale Demyelinisierungen zu erzeugen welche histologisch den Läsionen progredienter MS Patienten sehr ähneln. Der Versuchsaufbau (siehe dazu auch Abbildung) umfasst eine niedrig dosierte Immunisierung von Dark Agouti Ratten mit Myelin Oligodendrozyten Glycoprotein (MOG) mit nachfolgender gezielter Öffnung der Blut-Hirn-Schranke mittels Injektion proinflammatorischer Zytokine über einen in den Kortex implantierten Katheter.

In aufwendigen Vorversuchen konnten nachteilige Effekte der Langzeitimplantation des Katheters auf das Gehirngewebe ausgeschlossen werden. Auch die niedrig dosierte Immunisierung mit MOG alleine führt zu keinen histologischen oder klinischen Auffälligkeiten in den Versuchstieren sondern dient lediglich zur Ausbildung eines stabilen Antikörpertiters gegen MOG. Die Gehirne der Versuchstiere wurden an den Tagen 1, 3, 15 und 30 nach Öffnung der Blut-Hirn-Schranke histologisch untersucht. Bereits am ersten Tag nach Öffnung der Blut-Hirn-Schranke konnte eine Demyelinisierung rund um die Katheterstelle beobachtet werden, die sich ab Tag 3 auf die kontralaterale Hemisphäre ausbreitet. Das Maximum an Demyelinisierung konnte am Tag 15 festgestellt werden mit weitläufigen kortikalen Demyelinisierungen an beiden Hemisphären. Am Tag 30 sind neben demyelinisierten Arealen bereits einige remyelinisierte Kortexbereiche zu finden, ein Bild das Hirnschnitten verstorbener MS-Patienten sehr nahe kommt. Zelluläre Infiltrate sind ebenfalls kaum im betroffenen Kortex zu finden, dafür zeigt sich eine ausgeprägte Mikrogliaaktivierung sowie Apoptose von Astrozyten und in weiterer Folge ein Verlust von Neuronen. Die Tiere selbst zeigen sich dabei lediglich etwas verlangsamt zwischen Tag 9 und 15, Lähmungen wie bei der EAE treten nicht auf. Nach Tag 15 kommt es zu einer vollständigen klinischen Erholung der Tiere. Unser Modell ist auch eine wesentliche Verbesserung in Hinblick auf die Reduktion von Tierleid.