Unaufgefordert zu helfen kann ins Auge gehen, wobei das Helfen an sich nicht das Problem darstellt, – auf das “wie” kommt es an. Unangemessen zu helfen kann langfristig in eine Überforderung des Helfers führen, sowie denjenigen, dem geholfen wird an der Entwicklung hindern.
Alfred Freudenthaler MSc, Trainer, Coach und Mediator im Gespräch mit Gisela Zechner.
life-science: In einem Ihrer Blog-Beiträge sehen Sie das Helfen am Arbeitsplatz sehr kritisch. Leben wir heute nicht in einer Gesellschaft, in der das Gegenteil der Fall ist, nämlich, jeder sieht nur sich selbst, und wir müssten froh sein, wenn jemand von sich aus hilft?
A. Freudenthaler: Nicht das Helfen per se sehe ich kritisch, sondern die ungebetene Hilfe.
life-science: Was verstehen Sie unter ungebetener Hilfe? Wenn ich sehe, dass jemand im Wasser unterzugehen droht, soll ich dann warten, bis er um Hilfe ruft?
A. Freudenthaler: Das ist eine Gefahrensituation, hier muss natürlich rasch geholfen und gehandelt werden. Von ungebetener Hilfe spreche ich, wenn jemand glaubt, er muss jemandem, der sich in keiner akuten Gefahrensituation befindet, helfen, ohne dass er darum gebeten wurde. Ich spreche von den überfürsorglichen Menschen, die aktiv werden, da sie glauben zu wissen, was für den anderen gut ist.
Und ich widerspreche auch der Aussage, dass jeder nur sich selbst sieht.
life-science: Sondern, wie nehmen Sie es wahr?
A. Freudenthaler: Es gibt doch viele Initiativen – nicht nur im Sozialbereich –, wo Menschen einander helfen. Doch leider geht das oft im Social Media-Getöse etwas unter. Oder denken wir nur an die vielen Ehrenamtlichen, die in ihrer Freizeit unentgeltlich Hilfestellung verschiedenster Art leisten.
life-science: Kann man daraus den Rückschluss ziehen, dass positiven Leistungen für die Gemeinschaft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird?
A. Freudenthaler: Ja, das würde ich schon so sehen, man braucht nur schauen, was in den Sozialen Medien los ist. Die negativen Posts werden wesentlich mehr beachtet als die positiven. Es gilt in den Medien nach wie vor: „bad news are good news“. Es überwiegt das Negative. Aber wenn wir unsere Welt nicht nur durch die Brille der Medien betrachten, werden wir feststellen, dass es viele Menschen gibt, die anderen Menschen uneigennützig helfen, wenn sie darum gebeten werden.
life-science: Worin liegt die Problematik von ungebetener Hilfe?
A. Freudenthaler: Ungebetene Hilfe bewirkt, dass die Eigenverantwortung beschränkt wird. Zudem stellt sich der ungebetene Helfer über den anderen, da er sich anmaßt, es besser zu wissen/können – und es dem anderen nicht zutraut, seine Probleme selbst zu lösen. Auf diese Weise entsteht ein hierarchisches Gefüge, das den Empfänger der ungebetenen Hilfe ab- und den Helfer aufwertet.
life-science: Was tue ich, wenn ich sehe, jemand kommt mit seiner Aufgabe nicht zurecht und kommt in der Fülle gar nicht dazu, jemanden um Hilfe zu bitten. Ist hier eine unaufgeforderte Hilfe nicht angebracht?
A. Freudenthaler: Natürlich ist hier Hilfe angebracht – aber nur wenn sie als Angebot verstanden und nicht aufgedrängt wird. Mit einer einfachen Frage die Unterstützung nur anbieten, damit der andere selbst entscheiden kann, ob er die Hilfe annehmen will oder nicht.
So bleibt jeder autonom. Und: wird die angebotene Hilfe abgelehnt, ist das zu respektieren. Durch Aussagen wie: „Ich hab’s ja nur gut gemeint“, wird dem anderen signalisiert, dass die Ablehnung der Hilfe als Undankbarkeit gewertet wird. Das ist eine sehr subtile Kommunikation, die im anderen Schuldgefühle wecken kann.
Beim Helfen soll für beide Beteiligten, dem Helfer und demjenigen, dem geholfen wird, gesorgt sein. Der Helfende soll nicht in die Überlastung geraten und dem Geholfenen dürfen nicht die Eigenverantwortung und Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden.
life-science: Was tun jene MitarbeiterInnen die es nicht gewohnt sind, andere um Hilfe zu bitten?
A. Freudenthaler: Die können z. B. in einem Moment, wo sie gar keine Hilfe benötigen, einen Kollegen oder auch Vorgesetzten einweihen und sie darum bitten, ihnen dann ihre Hilfe anzubieten, wenn sie den Eindruck haben, es wäre angebracht. Sozusagen „Trockentraining“ im Voraus, bzw. im Voraus schon die Bitte um eine Angebot der Hilfe aussprechen.
life-science: Gibt es auch Menschen, die grundsätzlich nicht um Hilfe bitten, auch wenn sie diese brauchen würden?
A. Freudenthaler: Ja, auch diese gibt es.
life-science: Was macht es für die so schwer, andere um Hilfe zu bitten?
A. Freudenthaler: Das kann ganz verschiedene Ursachen haben. Das kann sowohl auf überfürsorgliche Eltern zurückgehen, die ihnen immer alles aus der Hand genommen haben oder auch auf überfordernde oder vernachlässigende, sodass ein Kind nie die Erfahrung machen konnte, Hilfe zu bekommen. Es können sich Prägungen manifestiert haben wie: „Ich muss es alleine schaffen!“ „Hilfe annehmen schafft Abhängigkeit!“ „Um Hilfe zu bitten bedeutet, eine Schwäche eingestehen!“ „Um Hilfe zu bitten ist sinnlos!“ „Um Hilfe zu bitten erzeugt ein Schuldverhältnis, der andere kann eine Gegenleistung fordern.“ …
life-science: Wie kommt der einzelne aus diesem Dilemma heraus?
A. Freudenthaler: Sobald jemand erkannt hat, dass es ihm schwer fällt, andere um Hilfe zu bitten, kann er sich jederzeit bewusst neu entscheiden, seine Prägung über Board werfen und somit sein Verhaltensrepertoire erweitern. „Ich erlaube mir also, um Hilfe zu bitten und Hilfe anzunehmen“.
Wenn ich in herausfordernden Situationen ganz klar benennen kann, was ich in dem Moment brauche, was mir in dieser Situation weiterhelfen würde, ist das in jedem Fall für alle Beteiligten hilfreich.
life-science: Was tue ich mit jenen Menschen, die ständig um Hilfe bitten, obwohl ich weiß, dass sie es selbst auch schaffen würden. Da ist es doch weniger Aufwand, schneller zu helfen und die Sache ist damit getan.
A. Freudenthaler: Das ist gerade für Führungskräfte eine häufige Falle. Hier hilft Klarheit darüber, wer welche Verantwortung hat. Die Führungskraft trägt Führungsverantwortung und das bedeutet, dafür zu sorgen, dass der Mitarbeiter seinen Auftrag auch ausführen kann. Im Management hat sich der Begriff „monkey-management“ – Rückdelegation – etabliert. Es beschreibt die Situation, in der die Führungskraft eine Aufgabe delegiert, wenig später steht der Mitarbeiter wieder in der Tür und meint, ‚ich kann das nicht‘ und die Führungskraft erledigt es schnell selbst. Im Idealfall leistet die Führungskraft Hilfe zur Selbsthilfe und legt gleichzeitig die Erwartung klar, dass sie künftig damit nicht mehr beschäftigt werden will.
Der Führungsverantwortung steht die Handlungsverantwortung des Mitarbeiters gegenüber. Er ist für die Ausführung der Aufgabe verantwortlich und die Führungskraft kann vom Mitarbeiter einfordern, dass er diese Verantwortung übernimmt. Gleichzeitig räumt die Führungskraft dem Mitarbeiter den Freiraum ein, selbst über die Art und Weise zu bestimmen, wie er die Aufgabe innerhalb des gesteckten Rahmens ausführt.
Jedenfalls muss mir, ob als Führungskraft, Mitarbeiter oder Privatperson klar sein, welche Wirkung es hat, wenn ich immer wieder dem anderen helfe – er wird seiner Entwicklungsmöglichkeit beraubt und ich gehe in die Überverantwortung.
Vielen Dank für das Gespräch
Gisela Zechner life-science Karriere Services
Alfred Freudenthaler, MSc
Selbstständig seit 25 Jahren in drei Bereichen:
Training: Führungskräfte- und Führungskräftenachwuchsentwicklung,
Coaching: Als Senior Coach und Lehrcoach (ACC) betreut er Führungskräfte, Fachexpert/-innen und Teams,
Mediation: Als Mediator hilft er dabei, Konflikte konstruktiv zu lösen und vermittelt Knowhow für Konfliktmanagement.
Sein Motto: „Ich unterstütze Sie dabei, erfolgreich zu sein.“